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Das utb-Online-Wörterbuch Philosophie bündelt das gesamte Grundlagenwissen zu Epochen, Personen, Strömungen und Begriffen der Philosophie. Das Philosophielexikon enthält über 1000 Artikel, die von ausgewiesenen Fachleuten verfasst wurden. Sie sind urheberrechtlich geschützt.
Im Alltag verstehen wir darunter eine gewisse Erkenntnisleistung. Gegenstände dieser Leistung sind z. B.: eine Fremdsprache, ein Witz, eine schlecht wiedergegebene Lautsprecherdurchsage, die Handlungsweise eines Menschen, die Geschichte der Französischen Revolution oder Sätze der Art: ›Wir verstehen nicht, wie das kommen konnte.‹ – ›Ich verstehe mich selbst nicht mehr.‹ – ›Er hat seine Frau noch nie verstanden.‹
Diesen Gegenständen des Verstehens gemeinsam ist die Tatsache, dass sie allesamt nicht durch die Sinne wahrnehmbar sind, dass sie also nicht natürliche oder empirische Gegenstände sind. Es ist daher auch von vornherein klar, dass die Erkenntnisleistung des Verstehens keine Objektivität beanspruchen kann. Wenn sich das Verstehen aber nicht auf die Gegenständlichkeit der natürlichen Gegenstände richtet, ihre objektiv wahrnehmbaren sinnlichen Qualitäten als das, was an den Dingen ›selbstverständlich‹ ist, dann kann es sich nur auf dasjenige richten, was die Dinge nicht selbst sind, auf etwas, was die Dinge nur bedeuten oder bezeichnen, auf einen Sinn, für den die Dinge nur Zeichen sind.
Mit diesem Sinn wie mit der spezifischen Leistung der Erkenntnis dieses Sinnes, dem Verstehen, hat es aber die – seit den frühesten Zeiten der Denkgeschichte bekannte – Bewandtnis, dass allein der Mensch oder ein dem Menschen geistig strukturverwandtes Wesen darin überhaupt etwas und nicht nichts zu erblicken vermag. Wenn man also die Ergebnisse alles dessen, was Menschen tun (schreiben, sprechen, musizieren, Schuhe herstellen, mit Zigaretten handeln, ein Unternehmen führen, sich selbst verwirklichen, ein Leben führen etc.) als Texte bezeichnet, dann kann man allgemein sagen, dass Verstehen die Tätigkeit des Entschlüsselns, des Interpretierens, des Auslegens, des Begründens, des Gewinnens von Aufschluss über den Sinn von Texten ist.
Da der Sinn eines Zeichens nicht schon immer – gleichsam objektiv – in diesem Gegenstand des Zeichens vorhanden ist, muss er durch die Absicht (Intention) eines diesen Sinn setzenden Autors in ihn hineingelegt worden sein. Das Verstehen des Sinns eines Textes ist also nichts anderes als das Verstehen der Intention(en) des Subjekts des Textes. Seit eh und je ist daher von den Philosophen der kommunikative Charakter des Verstehens herausgestellt worden, das sich als gemeinsames Einverständnis in einer Sache immer auf einen Anderen richtet. Als wirkliche geistige Übereinstimmung setzt Verstehen »eine Lebensbeziehung voraus, deren Wirkungszusammenhang eine innere Verwandtschaft zwischen Verstehendem und Verstandenem darstellt« (K. Lehmann). Verstehen kann somit nicht, wie z. B. die sinnliche Wahrnehmung, als einzelne Tätigkeit eines Bewusstseins isoliert und instrumentalisiert werden, sondern die Interpretation eines Textes findet immer vor dem Hintergrund eines ganzen Verständnis- bzw. Lebenskontextes einer Person statt und gelingt nur, wenn sich dieser Verständniskontext ›kongenial‹ einem anderen öffnet.
Als philosophische Lehre von Sinn und Verstehen hat sich die Hermeneutik in der Spätaufklärung und Lebensphilosophie Schleiermachers und Diltheys etabliert. Herausragender Vertreter einer modernen Hermeneutik ist Gadamer.
Insofern Verstehen und Sinn als spezifische Inhalte des Geistes kategorial von allen Naturgegenständen abgegrenzt werden, kann man seit dem 19. Jh. in der Nachfolge Diltheys und des Neukantianismus diese Unterscheidung methodologisch zur Grundlage zweier disparater Wissenschaftszweige, der Natur- und der Geistes- oder Kulturwissenschaften machen. Erstere erklären, Letztere verstehen ihre Gegenstände. Dabei wird Erklären im Gegensatz zum Verstehen als eine deduktiv-nomologische Prozedur der Gewinnung objektiven Wissens ausgegeben. So wird, etwa im Historismus, das historische Verstehen im Sinne einer verborgenen Teilnahme und Mitwissenschaft (an der Weltgeschichte) zum methodischen Prinzip der Geschichtsschreibung, während umgekehrt von Seiten der Naturwissenschaften entweder versucht wird, das Verstehen als Spezialfall des Erklärens zu naturalisieren oder aber die Begriffe Sinn und Verstehen schlicht für Nonsens zu erklären (Quine); in beiden Fällen wird den Geisteswissenschaften wegen ihres Unvermögens der Gewinnung objektiven Wissens ihr Wissenschaftscharakter abgesprochen.
Bei Heidegger und auch bei Gadamer wird der Begriff des Verstehens nicht mehr ausschließlich an einen geistig verstandenen Sinn gebunden. In der Existenzialontologie verliert das Verstehen seine reflexive Struktur: Es ist nicht mehr bloß eine (subjektive) Erkenntnisleistung, sondern es wird zur ursprünglichen Vollzugsweise des Daseins, d. h. des einzelnen Menschen in einer sinnhaft konstituierten Welt.
K. O. Apel, Verstehen. Eine Problemgeschichte , in: Archiv für Begriffsgeschichte I, 1955
O. F. Bollnow, Das Verstehen , Mainz 1949
W. Dilthey, Die Entstehung der Hermeneutik , in: Gesammelte Schriften Bd. 5, Stuttgart 1924
J. G. Droysen, Historik , 3. Aufl. Darmstadt 1958
H.-G. Gadamer, Verstehen , in: RGG, 3. Aufl. Bd. VI, Tübingen 1960, Sp. 1381–83
H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode , Tübingen 1960
M. Heidegger, Sein und Zeit , Tübingen 1927
E. Husserl, Logische Untersuchungen , 4. Aufl. Tübingen 1928
F. Schleiermacher, Hermeneutik , Hg. v. H. Kimmerle, Heidelberg 1959
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Quelle: Online-Wörterbuch Erwachsenenbildung. Basierend auf: Wörterbuch Erwachsenenbildung. Hg. v. Rolf Arnold, Sigrid Nolda, Ekkehard Nuissl. 2., überarb. Aufl., Verlag Julius Klinkhardt / UTB. ISBN 978-3-8252-8425-1. © 2010 Julius Klinkhardt